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10 Jahre Erfahrungen mit dem KB5
Wessely Richtungsweisendes Experiment Kommentar
 
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KB5 – ein richtungsweisendes Experiment    

Christian Wessely, August 2017


Inhaltsverzeichnis dieser Seite
KB5 – ein richtungsweisendes Experiment   
1. Einleitung   
2. (Teil)Analyse   
3. Bewertung   
4. Fazit   

1. Einleitung    

Forschung, Lehre und Wissenstransfer gehören zu den Grundaufgaben einer Universität. Die Karl-Franzens-Universität Graz hat sich insbesondere im Gefolge der Reform des Universitätsgesetzes 2002 und seiner Implementierung immer einerseits als Thinktank, andererseits als Großinstitution der Wissensvermittlung auch in Richtung der Öffentlichkeit, also über klassische Hörerinnen- und Hörerkreise hinaus, verstanden. Die mit Stand 2017 etwa 31.000 Studierenden finden an der Universität neben den klassischen Modellen des Studiums „vor Ort“ auch Studiengänge vor, die zumindest teilweise berufsbegleitend bzw. disloziert absolviert werden können.

Man könnte replizieren, dass das in der heutigen Zeit eine Selbstverständlichkeit ist, und das ist wohl wahr. Aber diese Selbstverständlichkeit konnte nur realisiert werden, weil es in den vergangenen Jahrzehnten Pioniere und Visionäre des Wissenstransfers gab, die – selten bedankt und noch seltener unterstützt – den Gedanken der dislozierten Wissensvermittlung betrieben haben.

Im Jahr 2006 trat die Initiative KB5 an die Katholisch-Theologische Fakultät der Universität Graz heran, weil das von dieser angebotene Format einer öffentlichen Vorlesungsreihe „Religion am Donnerstag“ sich durch Themen von öffentlichem Interesse und durch prominente Referentinnen und Referenten auszeichnete, und das technische know-how an der Fakultät sowie das Interesse vorhanden war, die Vorlesung über einen Videostream medial zu verwerten. Dem Team von KB5 wiederum – damals insbesondere Franz Steinwender und Helmut Leitner – war es ein Anliegen, hochwertige Inhalte in eine ländliche Umgebung zu transportieren und in eine niederschwellige, aber qualitativ hochwertige lokale Bildungsinitiative einzuspeisen. 2007 konnte die Zusammenarbeit aufgenommen werden, und etliche gemeinsame Veranstaltungen wurden – jeweils vor Ort lokal moderiert und mit einer Videofeedbackmöglichkeit für Rückfragen – unter großem Publikumsinteresse abgewickelt. Insgesamt wurden in den Semestern der Zusammenarbeit ca. 350 Personen erreicht, die zum Teil an Einzelveranstaltungen, zum Teil an ganzen Veranstaltungsreihen teilnahmen. Man kann mit Fug und Recht sagen, dass die Universität bzw. die Fakultät auf diese Weise eine innovative Präsentationsplattform gefunden hatte, die ferneren Publikumsschichten Fachwissen einfach vermittelte und die so oft gefühlte „emotionale Distanz“ zwischen der Hochschule, die ja auch mitunter (und nur teilweise zu Recht) im Ruf des Elfenbeinturmes steht, zu verringern.

Möglich war dies durch den großen persönlichen Einsatz einiger weniger Akteure, vor allem des Teams des KB5. Und dieser Einsatz war nicht nur ideeller Natur (durch Einsatz von Zeit und Kreativität), sondern auch materieller Art (so musste z.B. Ausrüstung beschafft, Raum zur Verfügung gestellt und die Werbetrommel gerührt werden). Getrieben von Idealismus wurde das Rad in Bewegung gesetzt. Und doch kam die Initiative und – bedauerlicherweise – das Projekt insgesamt wieder zum Erliegen. Wie war das möglich?

2. (Teil)Analyse    

Im Rahmen der Übertragungen von „Religion am Donnerstag“ waren folgende Aktivitäten zu setzen:

a) Themen- und Terminfindung: erfolgte durch die Katholisch-Theologische Fakultät autonom, KB5 wurde informiert und angehört, aber die Letztentscheidung lag im Dekanat.

b) Räume an der Universität, Moderation und Referentinnen bzw. Referenten wurden ebenfalls fakultätsseitig beigestellt; dazu wurden auch Finanzmittel zur Verfügung gestellt, um Honorare und Reisekosten abzudecken.

c) Die Übertragungstechnik und –abwicklung erfolgte im Rahmen einer Lehrveranstaltung. Die Abende waren zugleich Übungseinheiten des „Medienpraktischen Seminares“, es entstanden dadurch keine Zusatzkosten. Natürlich mussten dadurch Abstriche in der Qualität gemacht werden, denn Fehler in der Kameraführung und im Schnitt waren aufgrund der Ausbildungsphase der Studierenden unvermeidlich. Doch das wirkte sich nicht sinnstörend aus. An dieser Stelle wurde eine Schnittstelle angeboten, über die der AV-Stream an KB5 übermittelt wurde.

d) Im Objekt KB5 musste Raum, Technik und Moderation organisiert werden. Dies wurde vor Ort organisiert und getragen, ebenso wie die strukturellen anteiligen Betriebskosten, die natürlich auch für eine solche Veranstaltung in Anschlag gebracht werden müssen – Energie wird verbraucht, Toiletten werden benutzt, Reinigungen sind notwendig.

e) Die Bewerbung der Veranstaltung erfolgte koordiniert auch auf den Flyern der Fakultät, die in hoher Auflage gedruckt und versandt wurden, sowie in der E-Mail-Werbung; allerdings muss festgehalten werden, dass der Effekt für Kirchbach natürlich minimal bzw. nicht spürbar war. Die Last der Bewerbung für KB5 vor Ort trug somit zum überwiegenden Teil das Team vor Ort.

Man kann festhalten, dass die Leistungen symmetrisch verteilt waren und beide Institutionen – sowohl KB5 als auch Fakultät – am Gelingen der jeweiligen Reihen in etwa gleichen Anteil hatten.

Allerdings muss ebenso festgehalten werden, dass der strukturelle Vorteil der Fakultät war, dass das Personal und die Räume im Rahmen der universitären Arbeit zur Verfügung standen. Sie waren also finanziell (bis auf die Referierenden, vgl. oben b) nicht direkt relevant. In KB5 musste dieser Vorteil durch den hohen Idealismus der Akteure aufgewogen werden. So hat eine Handvoll Idealisten – so lange es möglich war – eine hohe Vorlage geliefert, die von der Realität nicht eingeholt wurde. Dabei hat keineswegs blauäugiger Optimismus oder gar Gedankenlosigkeit geherrscht. Schon in den ersten Gesprächen mit der Fakultät wurde klar angesprochen, dass mittelfristig eine solide Finanzierung notwendig ist, um die Initiative auf Dauer am Leben zu erhalten. Ein in der Folge mit dem Vizerektorat für Lehre (Univ.-Prof. Dr. Polaschek) geführtes Gespräch führte universitär zu der Zusage, dass die Reihe auch für Teilnehmende in Kirchbach als Lehrveranstaltung betrachtet wurde (mithin konnten die unter a-c angeführten Punkte kostenneutral bleiben), doch es war klar, dass die Universität außerhalb ihres unmittelbaren Bereiches kein Geld investieren konnte.

Derlei Gespräche wurden in größerer Zahl geführt. Politik, Wirtschaft, Institutionen und Unternehmen wurde angesprochen, die regionale Interessen verfolgten. Die Initiative stieß immer wieder auf großes Verständnis und Wohlwollen, aber durch die Tatsache, dass es letztlich nur ein zahlenmäßig begrenztes Publikum war, das erreicht werden konnte, war auch das Investitionsinteresse gering. Dadurch setzte sich allerdings eine fatale Bewegung in Gang – während eine (zugegeben lange) Anlaufphase naturgemäß nur eine jeweils zweistellige Besucherzahl pro Abend erreichen konnte, wäre die Chance der überregionalen Wahrnehmung und der Leuchtturmfunktion mit längerem Zeitverlauf gestiegen; ein return of investment an Zeit und Finanzmitteln wäre im oberen mittelfristigen Bereich also durchaus realistisch gewesen.

Eine weitere Grundsatzfrage war die der Kosten für das Publikum. Die staatlichen Universitäten in Österreich bieten ihr Wissen grundsätzlich gegen eine sehr geringe Studiengebühr und in vielen Fällen sogar gratis an; dazu verpflichtet uns der öffentliche Auftrag. Ist es gerechtfertigt, bei einer übertragenen universitären Veranstaltung vor Ort Eintrittsgelder zu kassieren; und vor allem: Wäre das Publikum auch bereit, etwas zu bezahlen, das als „Luxusgut“ empfunden wird (nämlich nicht unmittelbar lebensnotwendiges Wissen)? Zur ersten Frage ist anzumerken, dass ein moderater Eintrittspreis aufgrund der o.a. Punkte d) und e) absolut gerechtfertigt wäre. Jedoch – und damit zum zweiten Punkt – ist Bildungsarbeit letztlich immer defizitär. Das betrifft nicht nur das Schul- und höhere Bildungswesen, sondern auch Bildungsinitiativen unterschiedlicher Körperschaften: Ob Volkshochschule oder katholisches Bildungswerk – sie können nur mit unterschiedlich hohen Zuschüssen unmittelbar überleben, obwohl sie – wie die erstgenannten – langfristig wesentliche Beiträge zum Volksvermögen leisten. Das immaterielle Gut „Bildung“ wird offenbar anders bewertet als ein beliebiges materielles; und auch in ländlichen Gegenden wird eher ein zusätzliches Paar Schuhe oder ein nicht unmittelbar notwendiger Datenträger gekauft als ein Vortrag besucht, der nicht direkt (über)lebensrelevant ist.

3. Bewertung    

In gewisser Weise ist das Ergebnis des Projektes desillusionierend. Ausgehend von den bekannten Fakten, dass Initiativen immer an Personen hängen und alles seine Zeit hat, muss man bemerken, dass die Idee mit Sicherheit ihrer Zeit voraus war und vom Enthusiasmus und Idealismus der Akteure lebte; dass aber der Atem aus unterschiedlichen Gründen nicht lang genug war, um durchzuhalten, bis die Zeit reif wäre.

Aber könnte sie das je sein? Aus heutiger Sicht gefragt: Wäre das Projekt zum Selbstläufer geworden, wenn man nur vier, fünf Jahre länger durchgehalten hätte?

Pessimistischerweise muss ich sagen: Ich fürchte nein. Die Akteure waren getragen von mehreren Impulsen, und die wichtigsten waren aus meiner Außensicht die der Bildung für den ländlichen Raum, der regionalen (und das durchaus international!) Gerechtigkeit, der Ökologie und der Ethik – Werte, die je für sich hoch geschätzt und allgemein gepriesen werden, aber in sich in hohem Maß abstrakt bleiben. Nachdem sich aber inzwischen Web 4.0 mit seinem hohen Maß an Interaktivität etabliert hat, ist die Anzahl der Anbieter von Information und damit der potentiellen Mitbewerber überproportional gestiegen; und das Konzept der Individualisierung (das Datenerlebnis am eigenen Endgerät wird, auch wenn man einem social network angehört, einem kommunalen Erlebnis vorgezogen) hat gegenüber dem der Kommunität ein schwereres Gewicht gewonnen.

Die Betreiber hätten also das unerhörte Kunststück schaffen müssen, einerseits eine lange Durststrecke zu überbrücken und andererseits zugleich die Dynamik der Datenwende (die man mit der breitenwirksamen Markteinführung des iPhone, in Europa Anfang 2009, einordnen kann) aufzunehmen und mitzuvollziehen. Ohne geeignete und weitsichtige Unterstützung der öffentlichen Hand oder langfristig denkender Mäzene aus der Privatwirtschaft ein Ding der Unmöglichkeit. Nur: Damit konnte vor 2009 niemand rechnen.

Und doch hat das Projekt insgesamt auch seinen Ertrag gebracht. Ganz unmittelbar konnte eine hohe Zahl von Personen Wissensvermittlung in Anspruch nehmen, die sonst unzugänglich für sie geblieben wäre, und: sie konnten das Konzept der Entkoppelung von Ortsgebundenheit und Inhaltsvermittlung kennenlernen. Dann liegen die Lerneffekte auf der Hand. Beide beteiligten Seiten haben von den gemeinsam organisierten Abenden, den konkreten Events, aber auch von der Entwicklung der Reihe und aus der Reaktion des Publikums etliche neue Erkenntnisse ableiten können, die sich – zumindest kann das für die Fakultät gesagt werden – für die Einführung des neuen berufsbegleitenden und teilweise medial vermittelten Studienganges „Grundlagen theologischer Wissenschaft“ (Bachelor) sehr nützlich erwiesen haben. Dann ist es ohne Zweifel ein positiver Aspekt derartiger Versuchsreihen, auf Schwächen in der Anordnung hinzuweisen, und das in einem überschaubaren Rahmen. Zuletzt aber, und das scheint mir am wichtigsten zu sein, sieht man an Initiativen wie dieser, was mit relativ bescheidenen Mitteln möglich ist, wenn man der Kreativität und dem Idealismus von konkret handelnden Menschen vertraut. Allerdings müssen sie auch unterstützt werden. In dem bemerkenswerten Buch von Tracy Kidder „Die Seele einer neuen Maschine“ wird eindrucksvoll beschrieben, wie in den 1970er Jahren ein damals revolutionärer neuer Computer entwickelt wurde – nämlich nach der Champignon-Methode: „Das Substrat mit den Sporen infizieren, mit Mist düngen und in Ruhe wachsen lassen“, übertragen: Man nehme eine Gruppe kreativer Idealisten, statte sie mit Ressourcen aus und lasse sie ihren Ertrag bringen.

Der Dünger hat in diesem Fall leider gefehlt. Aber das ist ein Phänomen, das inzwischen auch die Universitäten gut kennen – zu den eingangs genannten Aufgaben der Hochschulen kommt inzwischen auch die der – vornehm ausgedrückt – „Drittmittelacquisition“ hinzu, und damit verbunden die der Werbung: Auf jeder Ebene, vom Rektorat abwärts bis zur letzten Mitarbeiterin muss inzwischen jeder seine Leistung „gut verkaufen“, damit die eigene berufliche Existenz immer und je neu gerechtfertigt wird.

4. Fazit    

Was bleibt also? Zunächst die erfreuliche Erinnerung an positive Menschen, die ein großartiges Bündel von Anliegen gemeinsam vertreten haben; dann die Erfahrungen, die man organisatorisch machen durfte und – natürlich – auch die inhaltlichen Aspekte, die uns jeweils gegenseitig bereichert haben. Aber natürlich auch die Erkenntnis, dass derartige Initiativen heute mehr denn je strategisch denken müssen, um langfristig reüssieren zu können. Zentral scheinen mir dabei folgende Punkte zu sein:

a) Das Team muss eine klare gemeinsame Vision haben. Ein Einzelner oder eine Einzelne schafft es nicht, bis auf wenige Ausnahmen (und hinter denen stehen meist wieder jeweils hochmotivierte Teams); und ein Team, dessen Visionen sich unterscheiden, ist entscheidend geschwächt.

b) Für die Vision braucht es klare strategische Ziele, am besten mit benennbaren Parametern; und diese Ziele sollten so gewählt sein, dass sie je für sich einen positiven Effekt haben. Wenn unterwegs der Atem ausgeht, dann kann man zumindest auf die erreichten Teilziele zurückblicken und sie als Erfolge verbuchen.

c) Für die zweifellos nötigen Geldgeber ist es bedauerlicherweise – auch hier gilt: Es gibt Ausnahmen, wenn auch nur wenige – notwendig, ein return of investment im unteren mittelfristigen Zeitraum erkennen zu können. Einem Politiker muss es Wählerstimmen, einer Wirtschaftskapazität Geld oder Geldwert bringen, die Initiative zu unterstützen. Das ist ein Problem, weil gerade konkrete Bildungsarbeit nur langfristige wirtschaftliche und politische Effekte hat.

d) Wenn man der überbordenden Individualisierung eine attraktive Alternative gegenüberstellen will, dann muss man klar zeigen und benennen, was der Mehrwert des Gemeinsamen ist. Natürlich sind Diskussionsmöglichkeiten wesentlich – aber hinzu kommt der Bedarf nach gemeinsamem Erleben, ein gewisser Eventcharakter, ein bestenfalls in einem Trend liegendes Merkmal des Zusammenseins. Eventuell auch kombinierbar – die Fokussierung auf eine und nur eine Sache ist jenseits des beruflichen Bereiches nur noch begrenzt attraktiv.

Wissen ist Macht. Wenn es gelingt, zu vermitteln, dass in Zeiten, die angesichts von Migration, Terrorismus und Klimawandel zunehmend als bedrohlich empfunden werden, nur Wissen – und zwar möglichst breit gestreutes – die Macht verleiht, mit diesen Ängsten umzugehen und die dahinter stehenden realen Bedrohungen zu neutralisieren, ist das Wesentliche gewonnen. Aber das ist – und dies gilt nicht nur für KB5 und ähnliche Initiativen, sondern auch für Universitäten und überhaupt – zugleich auch die schwerste Aufgabe.


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